Achim Biesenbach - Praxis für Psychotherapie - Hilden

Familientherapie

Zunächst sollen zwei typische Familienstrukturen dargestellt werden. Folgende Merkmale sind typisch für extrem verstrickte Familien:

  1. ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl untergräbt und verhindert die Autonomie der Individuen, z.B. die Mutter beschäftigt sich nur mit ihren Kindern
  2. mangelnde Differenzierung behindert individuelles Problemlösen bei Kindern und führt zu einer mangelnden Förderung von kognitiven und affektiven Fähigkeiten, z.B. ein Kind wird behandelt wie das andere, obwohl es vielleicht ganz besondere Fähigkeiten besitzt
  3. die Belastung eines Einzelnen trifft immer auch alle anderen, z.B. wenn ein Kind krank wird, dann geht es der ganzen Familie nicht gut
  4. die ganze Familie reagiert streng und extrem auch auf kleine Verhaltensabweichungen oder zaghafte Lösungsversuche aus der Familie, z.B. wenn ein Kind einmal einen nicht so großen Hunger hat, wird gleich sehr besorgt reagiert, ob denn etwas nicht in Ordnung wäre

Folgende Merkmale sind hingegen typisch für eine extrem gelöste Familie:

  1. keine Loyalität und kein Zugehörigkeitsgefühl, z.B. kümmert es die anderen Familienangehörigkeiten wenig, wenn es einem Familienmitglied schlecht geht
  2. die einzelnen können sich gegenseitig nicht um Unterstützung bitten
  3. Abhängigkeiten werden nicht bemerkt, häufig bestehen zwar gefühlsmäßige Bindungen, die aber nicht eingestanden werden
  4. individuelle Eigenarten werden zwar toleriert, aber auch nicht weiter beachtet, jeder kann machen, was er will, gute Leistungen werden nicht belohnt
  5. das System reagiert nicht auf Grenzverletzungen

Beurteilung der familiären Interaktion

Es werden sechs wichtige Bereiche für die Beurteilung der familiären Interaktion unterschieden:

  1. Die transaktionalen Muster des Systems, das sind Interaktionen zwischen den Systemmitgliedern, die sich immer wieder in gleicher oder ähnlicher Weise wiederholen, z.B. der Mann klagt an, die Frau verteidigt sich.
  2. Kapazität und Flexibilität der Interaktionsmuster
  3. Resonanz, d.h. kann das System von außen angesprochen werden, kann es neue Erfahrungen machen oder stagniert es?
  4. In wie weit verändert oder bestimmt der Lebenskontext die Interaktion des Systems, z.B. Unterstützung und Belastung?
  5. Sind die momentanen Interaktionsformen adäquat für die Entwicklungsstufe des Systems, z.B. wenn Kinder in die Pubertät kommen, kommt es zu einer Verringerung der elterlichen Kontrolle und Unterstützung?
  6. Erhalten die Symptome des identifizierten Klienten die transaktionalen Muster aufrecht, z.B. wäre das der Fall, wenn die Beschäftigung mit der Anorexie der Tochter verhindert, daß sich die Eltern mit ihren Schwierigkeiten auseinandersetzen, die sie miteinander haben.

Methoden zur Beurteilung der Interaktionsbereiche

Die wichtigsten Methoden der Familientherapie, um diese Interaktionsbereiche beurteilen zu können, sind:

  1. Verhaltensbeobachtung während der Therapie, dazu wird den Klienten ein großer Raum gewährt, in dem sie ihre normalen Interaktionsformen zeigen können, die sie normalerweise im Sinne der sozialen Erwünschtheit natürlich zunächst einmal verbergen, z.B. beobachtet der Therapeut einen ausbrechenden Streit, ohne gleich einzugreifen. Wichtige Beobachtungskriterien dabei sind: Wer spricht mit wem?, In welcher Form tut er das im Sinne der oben beschriebenen Muster?
  2. Verhaltensbeobachtung während des Rollenspiels
  3. Verhaltensbeobachtung in der natürlichen Umgebung des Systems, bei der Familie zu Hause
  4. Skulpturenbilder

Interaktionsmuster nach Ravich

Bezogen auf je zwei Systemmitglieder kann man nach Ravich drei Interaktionsmuster unterscheiden:

  1. Das kooperierende Interaktionsmuster. Wichtige Merkmale sind: die Systemmitglieder sprechen mehr miteinander, sie stimmen sich ab, zeigen Initiativen beim gemeinsamen Problemlösen, sprechen oft gleichzeitig miteinander, geben Kommentare zu dem, was sie tun und zu dem, was der andere tut und sagt, sind auch zur Anerkennung in der Lage. Dem gegenüber steht
  2. Das konkurrierende Interaktionsmuster. Wichtige Merkmale sind: es wird kaum miteinander kommuniziert, es werden nur Fragen beantwortet, die Systemmitglieder haben auch zum Therapeuten einen eher schlechten Kontakt, Probleme werden alleine für sich gelöst. Der ständige Kampf bedeutet meist, daß es hier ein Misstrauen und so etwas wie eine Aggressionserwartung vorherrscht.
  3. Das dominant-submissive Interaktionsmuster. Es ist durch viele Missverständnisse in der Kommunikation gekennzeichnet. Es wird sich gegenseitig unterbrochen, bei neuen Problemen stellt sich das Muster sehr schnell ein und das wesentlichste, das dominante Mitglied bestimmt, wobei das submissive Mitglied dem Folge leistet.

Interaktionsmuster nach Satir

Bezogen auf das einzelne Familienmitglied kann man nach Satir vier verschiedene Interaktionsmuster unterscheiden:

  1. Der Ankläger handelt nach der Devise "alles, was passiert, ist deine Schuld". Alles am anderen wird kritisiert, man kann ihm, dem Ankläger, nichts recht machen, er ist sehr misstrauisch, hat meist nur schlechte Kontakte und Beziehungen. Er neigt auch dazu, den Therapeuten zu attackieren.
  2. Der Beschwichtiger handelt nach der Devise "sag mir, was ich tun soll". Er tendiert dazu, eigene Bedürfnisse und Gefühle zu unterdrücken und zu depressiven Verstimmungen zu neigen.
  3. Der Intellektualisierer lebt nach der Devise "es gibt für alles eine Erklärung".
  4. Der Ablenker folgt dem Lebensmotto "mich interessiert überhaupt nicht, was du sagst".

Systemregeln in der Familientherapie

Ein weiterer Schwerpunkt in der Familientherapie ist das Erkennen sogenannter "Systemregeln". Damit bezeichnet man eine Vorschrift für das Zusammenleben innerhalb eines sozialen Systems. Krause und Eschenmeier unterscheiden fünf Kriterien für die Beurteilung von Systemregeln:

  1. Wie sinnvoll ist die Regel bzw. der Plan? Welche kurzfristigen und langfristigen Konsequenzen hat das für die Familienmitglieder?
  2. Warum wird eine Regel befolgt bzw. nicht befolgt?
  3. Warum wird sie falsch wahrgenommen?
  4. Stimmt sie mit den Bedürfnissen der eigenen Mitglieder überein?
  5. Welche Konsequenzen hat eine Regelverletzung?

Dabei haben die Autoren festgestellt, daß die Regeln des geschlossenen Familiensystems immer in Richtung Gleichheit in den Gefühlen, Gedanken und im Verhalten gehen.

Die Regeln des offenen Systems betonen dagegen die Einzigartigkeit und das Wachstum des einzelnen und damit die Dynamik des Systems. Das Wachstumskonzept besagt, daß jeder Mensch nur dann relativ symptomfrei funktionieren kann, wenn er das Gefühl hat, sich in einer ihm gemäßen Weise entfalten, produktiv und kreativ sein zu können und daß es in jeder Familie verschiedene Möglichkeiten geben muss, damit die Mitglieder ihr Anderssein ausdrücken können, ohne daß es dabei zu destruktiven Prozessen kommt.

Das Wachstum vollzieht sich auf zwei Ebenen: einmal auf der Ebene der Entwicklung des Selbstwertgefühls und zum anderen auf der Ebene der Fähigkeit, mit anderen Beziehungen aufnehmen zu können, die eine befriedigende Qualität haben.

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